Selen

1 Einleitung

Selen hat vielfältige physiologische Aufgaben im menschlichen Körper1. Dazu gehören Aspekte des Metabolismus von Schilddrüsenhormonen, des Immunsystems und seine wichtige Aufgabe beim Abbau freier Radikale2, 3. Selen ist ein essentielles Spurenelement und spielt eine wichtige Rolle als Katalysator in vielen menschlichen Eiweißen. Diese sogenannten Selenoproteine entfalten Ihre enzymatische Wirkung durch die katalytischen Selenocystein-Gruppen.

Es sind mittlerweile 17 Familien der Selenoproteine bekannt, von denen bisher nur einige Wenige funktionell charakterisiert wurden3. Zu den gut charakterisierten Selenoproteinen gehören die (fünf) Gluthation-Peroxidasen, (drei) Thio-Reduktasen, und (drei) Iodothyronin-Deiodinasen. Für weitere Details zu den Selenoproteinen wird auf exzellente wissenschaftliche Zusammenfassungen zum Thema Selen verwiesen 2-4. Alle bisher charakterisierten Selenoproteine haben eine starke Wirkung als Oxidoreduktase, d.h. sie reduzieren Hydroxyperoxide (H2O2), Hydroperoxide in Fetten oder Thioredoxine.

2 Selenmangel, Krankheiten und Krebs

In Deutschland liegt der Normbereich für Selen im Vollblut bei 100-140µg/l, ein Wert unter 100µg/l bedeutet Selenmangel5. Deutschland gehört, wie ganz Europa, zu den selenarmen Gebieten der Welt6. Da Pflanzen das Selen aus dem Boden aufnehmen, ist der Anteil an Selen in den Nahrungsmitteln in Deutschland dementsprechend geringer als in anderen Ländern. Deshalb liegen die Selenblutwerte in Kanada, den USA und Japan zum Teil wesentlich höher als in Deutschland6. Durchschnittlich nehmen die Menschen in Deutschland täglich nur 35 µg Selen auf7, obwohl die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eine tägliche Selenaufnahme von 60-75 µg empfiehlt8.

Selenmangel wird mit einer Vielzahl entzündlicher, degenerativer und chronischer Erkrankungen in Verbindung gebracht, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Entzündungen des Magen-Darm-Trakts, Unfruchtbarkeit, Immunschwäche, Asthma, Alzheimer und Krebserkrankungen9. Die meisten dieser Selenmangel-Erkrankungen sind vermutlich auf vermehrten oxidativen Stress durch den verminderten Abbau freier Radikale zurückzuführen.

Die Entstehung von Krebserkrankungen könnte – neben dem verminderten Abbau freier Radikale – von den Auswirkungen des Selenmangels auf das Thioredoxin-System abhängen. Thio-Reduktasen katalysieren die Reduktion einer Vielzahl von Proteinen, darunter die Ribonucleotid-Reduktase, die essentiell für die DNA-Synthese ist. Zudem hängen die Transkriptionsfaktoren P53 und NF-κB, der Glukokortikoidrezeptor und die Apoptose-regulierende Kinase (ASK1) vom Thioredoxin-System ab3.

3 Supplementierung von Selen bei Krebspatienten

Patienten mit Tumorerkrankungen weisen meist schon vor Therapiebeginn erniedrigte Selenwerte im Blut auf6, 7. Warum das so ist wird derzeit noch diskutiert. Da die Nahrungsmittel in Deutschland wenig Selen enthalten, ist es selbst mit bewusst selenreicher Ernährung kaum möglich einen bestehenden Selenmangel wieder auszugleichen6. Um einen ausreichend hohen Selenspiegel bei Menschen mit Selenmangel zu erreichen ist deshalb die zusätzliche Gabe von Selenpräparaten angezeigt.

Eine Supplementierung von Selen bei Krebspatienten ist auch deshalb angezeigt, weil durch die Therapie mit Zytostatika (Chemotherapie) und Strahlentherapie vermehrt freie Radikale entstehen. Dies führt zu einem erhöhten Bedarf an selenhaltigen Enzymen im ganzen Körper und in der Folge zu einem weiteren Absinken der Selenblutwerte. Der häufig durch die Therapie auftretende Gewichtsverlust durch Appetitlosigkeit und die Abneigung gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln verschärft den Selenmangel noch weiter.

Neben dem häufigerem Auftreten von Krebserkrankungen1, 9-13, wird Selenmangel auch mit einer erhöhten Krebsmortalität in Verbindung gebracht14. Eine Supplementierung von Selen vor, während und nach Chemo- und Strahlentherapie hat nachweislich positive Auswirkungen auf ihre Wirksamkeit und reduziert ihre Nebenwirkungen6, 10, 14-17. Vor allem Nebenwirkungen wie die Schädigung der Blutbildung und Durchfall wurden in Studien stark reduziert6. Es ist wichtig anzuführen, dass die Supplementierung von Selen nachweislich keinen negativen Einfluss auf die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie hat5, 6, 18.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studien sind sehr vielversprechend. Deshalb sollten die Wirksamkeit von Selen zur komplementären Behandlung von Krebspatienten unbedingt weiter untersucht werden. Weitere klinische Studien zur Selensupplementierung mit größeren Fallzahlen sind dringend notwendig und wünschenswert um das Potenzial der Supplementierung von Selen bei der Behandlung verschiedener Krebsarten besser einschätzen zu können.

4 Dosierung und Nebenwirkungen

Grundvoraussetzung für eine Abschätzung des Selenstatus ist, neben der Bestimmung der Selenwerte, eine Bestimmung der Aktivität der Gluthation-Peroxidase im Blut6, 17. Ziel sollte ein Selenwert im Vollblut im Bereich von 100-140µg/l sein5, um die optimale Funktion der Selenoproteine zu gewährleisten6, 13, 17. Höhere Werte haben wahrscheinlich langfristig einen negativen Einfluss auf die Gesundheit13 und erhöhen das Risiko an Prostatakrebs zu erkranken19.

Vorsicht ist bei der zusätzlichen Einnahme von Vitamin- und Mineral-Präparaten, sowie beim Verzehr von Paranüssen geboten, da diese z.T. erhebliche Mengen an Selen enthalten können. Überdosierungen können so vermieden werden. Überdosierungen äußern sich unter Anderem an knoblauchartigem Atemgeruch, Durchfall, Magenschmerzen und Übelkeit6. Sollte es zu Überdosierungen kommen muss das Präparat sofort abgesetzt und ein Arzt konsultiert werden.

Im Rahmen einer Supplementierung von Selen können generell alle handelsüblichen Selenpräparate eingesetzt werden. Allerdings muss darauf geachtet werden Nahrungsmittel die Vitamin C enthalten nicht gleichzeitig einzunehmen, um die Bildung elementaren Selens, welches nicht vom Körper aufgenommen werden kann, zu verhindern6. Die Verwendung von Präparaten die anorganisches Natriumselenit enthalten hat im Vergleich zu organisch gebundenem Selen mehrere Vorteile. Natriumselenit ist standardisiert, d.h. die Selenmange ist klar definiert und Natriumselenit kann vom Körper leichter und direkter aufgenommen werden als organisch gebundenes Selen.

Wegen der relativ engen therapeutischen Breite sollte Selen nur nach vorheriger Rücksprache mit einer kompetenten Person eingenommen werden. Eine Supplementierung von Selen sollte mit der regelmäßigen Bestimmung der Selenwerte und der Gluthation-Peroxidase-Aktivität im Blut einhergehen, um Dosierungen anpassen zu können und optimale Selenwerte im Vollblut zwischen 100-140µg/l5 zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

5 Einsatz von Selen zur Unterstützung der Chemotherapie, klinische Studien

Insgesamt sind die Ergebnisse der vorliegenden Studien sehr vielversprechend. Weitere klinische Studien zur Selensupplementierung mit größeren Fallzahlen sind allerdings dringend notwendig und wünschenswert um das Potenzial der Supplementierung von Selen bei der Behandlung verschiedener Krebsarten noch besser einschätzen zu können.

5.1 Zusammenhang zwischen Auftreten von Krebserkrankungen und Selenmangel

Es gibt starke Hinweise darauf, dass es eine Verbindung zwischen Selenmangel und dem häufigerem Auftreten von Krebserkrankungen gibt 1, 9-13. In einer Studie aus den neunziger Jahren konnte gezeigt werden, dass durch die Supplementierung von Selen die Inzidenz von Prostata-,Darm- und Lungen-Krebs um 63, 58 und 46% reduziert wurde10. In einer Interventionsstudie bei 130.000 Personen in der Region Qidong, China, zeigte sich eine 35 %ige Reduktion im Auftreten von Leberkrebs nach 8 Jahren durch die Gabe von mit Selen angereichertem Tafelsalz20.

5.2 Reduzierung von Nebenwirkungen der Chemotherapie

Eine Supplementierung von Selen während und nach Chemo- und Strahlentherapie hat nachweislich positive Auswirkungen ihre Wirksamkeit und reduziert ihre Nebenwirkungen6, 10, 14-17. Das gilt vor allem für Patienten mit einem Selenmangel zum Beginn der Therapie3, 11. Zu Prostatakrebs liegen mehrere Studien vor, die diesen Zusammenhang eindrucksvoll zeigen10, 21-23. Allerdings sollte nur bei Selenmangel supplementiert werden, da bei einer Überversorgung das Risiko an Prostatakrebs zu erkranken ansteigt19. Hinweise dazu gibt es auch für Darmkrebs und Lungenkrebs10, 11. Vor allem Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie, wie die Schädigung der Blutbildung und Durchfall, wurden in Studien stark reduziert6.

5.3 Einflüsse auf Krebsmortalität und Auftreten (sekundärer) von Krebserkrankungen

Die zusätzliche Gabe von b-Carotin, Vitamin E und Selen hatte eine signifikante Reduktion der Mortalität durch verschiedene Krebserkrankungen und eine 42 % Reduktion des Auftretens von Speiseröhrenkrebs zur Folge14. Das Auftreten sekundärer Lymphödeme bei Patienten mit Brustkrebs, sowie Kopf-Hals Karzinomen, wurde durch die Gabe von Selen ebenfalls signifikant reduziert15, 24, 25.

6 Zusammenfassung

Selen hat vielfältige physiologische Aufgaben beim Metabolismus von Schilddrüsenhormonen und im menschlichen Immunsystem. Seine wichtigste Aufgabe ist der Abbau freier Radikale durch viele verschiedene Selenoproteine. Selenmangel führt zu vermehrtem oxidativen Stress durch den verminderten Abbau freier Radikale. Menschen in Deutschland und speziell Patienten mit Tumorerkrankungen haben häufig erniedrigte Selenwerte im Blut. Es gibt eine Vielzahl entzündlicher, degenerativer und chronischer Selenmangel-Erkrankungen, dazu zählen auch Krebserkrankungen.

6.1 Selen und Krebs

Krebspatienten haben einen erhöhten Bedarf an Selen. Durch die konventionelle Krebstherapie entstehen vermehrt freie Radikale im gesamten Körper, außerdem führen Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie zu einer generellen Unterversorgung an Mikronährstoffen, zu denen auch Selen gehört. Bei Krebserkrankungen spielen – neben einem verringerten Abbau freier Radikale – wahrscheinlich Auswirkungen auf das selenabhängige Thioredoxin-System eine wichtige Rolle. Einige zentrale Enzyme, die für DNA-Synthese und DNA-Reparatur wichtig sind, hängen von Thio-Reduktasen ab.

Neben dem häufigerem Auftreten von Krebserkrankungen, wird Selenmangel auch mit einer erhöhten Krebsmortalität in Verbindung gebracht. Durch die Supplementierung von Selen wurde die Inzidenz von Darm-, Prostata-, Leber- und Lungen-Krebs um bis zu 60% reduziert. Außerdem hat eine Supplementierung von Selen nachweislich positive Auswirkungen auf die Wirksamkeit konventioneller Therapien und reduziert ihre Nebenwirkungen. Vor allem Nebenwirkungen wie die Schädigung der Blutbildung und Durchfall wurden in Studien stark reduziert. Offensichtlich hat eine Supplementierung von Selen keinen negativen Einfluss auf die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie.

Insgesamt sind die Ergebnisse der vorliegenden Studien sehr vielversprechend. Weitere klinische Studien zur Selensupplementierung mit größeren Fallzahlen sind allerdings dringend notwendig und wünschenswert um das Potenzial der Supplementierung von Selen bei der Behandlung verschiedener Krebsarten noch besser einschätzen zu können.

6.2 Supplementierung von Selen

Wegen der relativ engen therapeutischen Breite sollte Selen nur nach vorheriger Rücksprache mit einer kompetenten Person eingenommen werden. Selen-Überdosierungen äußern sich unter Anderem an knoblauchartigem Atemgeruch, Durchfall, Magenschmerzen und Übelkeit. Sollte es zu Überdosierungen kommen muss das Präparat sofort abgesetzt und ein Arzt konsultiert werden.

Im Rahmen einer Supplementierung von Selen sollte anorganisches Natriumselenit verwendet werden. Nahrungsmittel die Vitamin C enthalten sollten nicht gleichzeitig eingenommen werden, weil das Selen sonst nicht vom Körper aufgenommen werden kann. Eine Supplementierung von Selen muss außerdem mit einer regelmäßigen Bestimmung der Selenwerte und der Gluthation-Peroxidase-Aktivität im Blut einhergehen. So können Dosierungen angepasst werden und optimale Selenwerte im Vollblut zwischen 100-140µg/l erreicht und aufrechterhalten werden.

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Literatur

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