Tumorentstehung

Obwohl Krebs eine sehr heterogene Erkrankung ist und Zellen unterschiedlicher Krebsarten auf ganz unterschiedlichen Wegen entarten, gibt es doch Gemeinsamkeiten in den Veränderungen der Physiologie von Krebszellen im Vergleich zu gesunden Zellen. Während der Entartung von Krebszellen erhalten diese Zellen sechs grundlegende Eigenschaften, die sie von nicht entarteten Zellen unterscheiden1:

  1. Die Unabhängigkeit von externen Wachstumssignalen (Proliferation)
  2. Unabhängigkeit von wachstumshemmenden Faktoren
  3. Das Umgehen des programmierten Zelltods (Apoptose)
  4. Ein unbegrenztes replikatives Potential (Zellteilung)
  5. Kontinuierliche Neubildung von Blutgefäßen (Angiogenese)
  6. Die Eigenschaft in zellfremde Gewebe einzudringen und zu metastasieren

Krebs ist eine genetische Erkrankung bei der es zu Mutationen in der Abfolge der Nukleotide in der DNA kommt. Die Tumorentstehung ist ein mehrstufiger Prozess. Damit eine gesunde Zelle sich zu einer Krebszelle entwickeln kann, braucht es Veränderungen in unterschiedlichen Genen, um letztendlich die sechs grundlegenden Eigenschaften zu erhalten, die Krebszellen von gesunden Zellen unterscheiden.

Die meisten Krebszellen tragen mehrere Mutationen in unterschiedlichen Genen. Für die Entwicklung von Darmkrebs konnte gezeigt werden, dass Mutationen in mindestens 7 unterschiedlichen Genen notwendig sind, damit sich aus einer gesunden Epithelzelle eine Darmkrebszelle entwickelt2. Erst in den letzten Jahren wurde klar, dass jeder Krebs sowohl in seiner Entstehung als auch in seinen genetischen Veränderungen letztendlich einzigartig ist3.

Der Zusammenhang zwischen einem ausreichendem Vitamin D Status (Vitamin D-Blutwerten) und einem geringeren Krebsrisiko bzw. geringerer Krebsmortalität ist seit etwa 2007 bekannt (siehe auch hier). Eine neue Studie aus April 2016 von McDonnell et al. unterstützt diese These mit Daten, die zeigen, dass durch noch höhere Vitamin D-Blutwerte eine weitere Reduktion des Krebsrisikos um 65 % erreicht werden kann.

Klinisch teilt sich der Prozess der Tumorentstehung in mehrere Phasen auf die Initiation, die Promotion, die Progression und die vaskuläre Phase4.

Initiation

In der Initiationshase ereignet sich in einer einzelnen Zelle ein Mutationsereignis in ihrer DNA. Dieses Mutationsereignis kann verschiedene Ursachen haben. Krebsauslösende Substanzen wie z.B. Tabakrauch oder Dioxine, oxidativer Stress, UV- bzw. radioaktive Strahlung und Fehler während der Zellteilung, bei der die gesamte DNA einer Zelle verdoppelt wird, können Auslöser einer Veränderung der DNA sein, die zu einem Mutationsereignis führt.

Man nimmt an, dass täglich mehrere tausend solcher Mutationsereignisse in den Zellen des menschlichen Körpers stattfinden. Meistens werden solche Mutationen durch DNA-Reparaturmechanismen der Zelle erkannt und direkt behoben oder die Zelle löst den programmierten Zelltod (Apoptose) aus und stirbt. Diese Mechanismen funktionieren in der Regel sehr gut, aber in seltenen Fällen kann es passieren das eine solche Mutation nicht erkannt wird und die DNA der betroffenen Zelle dauerhaft verändert wird.

Promotion

Nicht jede Veränderung der DNA führt automatisch zu einer Entartung der Zelle. Nur in sehr seltenen Fällen hat eine nicht „reparierte“ Mutation in einer Zelle zur Folge, dass diese sich teilen kann und mehrere Zellen mit dieser Mutation entstehen. So kann es zu einem Wachstum dieser nun entarteten Zellen kommen. Es entsteht ein sogenannter Mikrotumor, der aus maximal 10 Millionen entarteten Zellen besteht und einen maximalen Durchmesser von etwa 0,5mm hat5. Weiter können die entarteten Zellen nicht wachsen, weil Ihnen sonst Sauerstoff und Nährstoffe fehlen5.

Progression

Damit sich aus einem Mikrotumor ein Tumor entwickeln kann benötigen die entarteten Zellen mehr Nahrung und Sauerstoff. Hierfür müssen Sie sich mit sauerstoffreichem Blut versorgen. Die Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese) setzt allerdings bestimmte Eigenschaften voraus, die die entartete Zelle erst durch weitere Mutationsereignisse erhalten kann. Die Promotionphase kann sich über sehr lange Zeiträume (1-40 Jahre4) hinziehen, denn es muss erneut eine seltene Mutation (oder mehrere Mutationen) entstehen, die einer entarteten Zelle die Eigenschaft verleiht die Bildung neuer Blutgefäße in ihrer Nähe zu induzieren. Gleichzeitig darf die Zelle währenddessen nicht sterben, so wie es bei den meisten Zellen normalerweise nach einiger Zeit der Fall ist.

Vaskuläre Phase – Exponentielles Tumorwachstum

Wenn es allerdings zu einer Neubildung von Blutgefäßen im Bereich der entarteten Zellen kommt, können die Zellen plötzlich sehr gut mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden. Die Folge kann ein exponentielles Wachstum sein, dass die Tumorgröße innerhalb von zwei Wochen um das bis zu 16.000fache ansteigen lässt4. So kann es passieren, dass es – nach einer sehr langen Zeit in der die Krebszellen sozusagen in einer Art Schlafzustand in Form von Mikrotumoren im Körper persistieren6 – zu einem unkontrollierten (vaskulären) Wachstum der Zellen und somit zur Tumor-Progression kommt. Erst jetzt ist der Tumor klinisch nachweisbar!

Intervention

In allen Phasen der Tumorentstehung kann durch gezieltes Einwirken auf die Mechanismen der Entartung verhindert werden, dass ein Tumor tatsächlich entsteht. Erst wenn die entarteten Zellen in der Lage sind neue Blutgefäße zu bilden (angiogenetischer Switch) kann durch exponentielles Wachstum ein Tumor entstehen, der groß genug ist um klinisch diagnostiziert zu werden4. Dieser angiogenetische Switch ist so etwas wie die Achilles-Ferse der Tumorentstehung. Wenn verhindert werden kann, dass die Mikrotumoren neue Blutgefäße bilden, kann der Krebs nicht ausbrechen. Zudem gibt es Berichte dass eine Zelle, die sich bereits im angiogenetischem Zustand befindet in einen nicht-angiogenetischen Zustand zurückversetzt werden könnte7. Dies wäre ein Weg Krebs in eine schlafende, chronische und somit handhabbare Krankheit zu verwandeln7. Tatsächlich gibt es mehr als 120 neuartige Substanzen die anti-angiogenetische Eigenschaften besitzen und zur Zeit in klinischen Studien an Krebspatienten untersucht werden.

Fast jeder ältere Mensch hat klinisch nicht manifestierte Mikrotumoren

Es gibt Berichte von klinisch nicht manifestierten Mikrotumoren und das bei fast allen primären Krebsarten8. Interessanterweise findet man bei älteren Menschen, die an einer anderen Todesursache als Krebs starben, in beinahe 100% der Fälle Mikrotumoren in der Schilddrüse, bei einem Drittel der Männer Mikrotumoren in der Prostata und bei einem Drittel der Frauen Mikrotumoren in der Brust6. Offensichtlich gibt es Mechanismen die verhindern, dass sich diese Mikrotumoren mit Blutgefäßen ausstatten und sich zu klinisch nachweisbaren Tumoren entwickeln können.

Das wirft die Frage auf wie der menschliche Körper hierzu in der Lage ist. Innerhalb des Körpers sorgen endogene Proteine – wie z.B. Statine und Interferone – dafür, das Blutgefäße nur in sehr seltenen Situationen – wie etwa bei der Wundheilung – neu gebildet werden können5. Zudem könnten auch exogene Proteine – die dem Körper über die Nahrung zugeführt werden – dafür sorgen, dass keine Blutgefäße gebildet werden können. Es ist bekannt, dass sehr viele sekundäre Pflanzenstoffe anti-angiogenetisch wirken können4, darunter Catechine aus grünem Tee, Genistein aus Soja, Resveratol aus Rotwein, Omega 3 Fettsäuren und Flavonoide5.

Die Wirkung sekundärer Pflanzenstoffe auf die (nicht-)Entstehung von Krebs

Man nimmt an, dass es mehr als 100.000 verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe gibt9. Ihre biologische Aktivität ist Inhalt intensiver Forschung und für viele dieser Substanzen konnte bereits gezeigt werden, dass sie durch unterschiedlichste Mechanismen der Entstehung von Krebs entgegen wirken können4, 5. Es ist durchaus möglich, dass Menschen, die regelmäßig genügend dieser sekundären Pflanzenstoffe Substanzen konsumieren, sich auf natürliche Art und Weise davor schützen können, dass Mikrotumoren innerhalb ihres Körpers in der Lage sind in die Progressionsphase einzutreten. Das könnte eines der Geheimnisse der Mittelmeerdiät sein, die dazu führt dass Menschen statistisch deutlich älter werden als Menschen anderer Kulturkreise. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass der Konsum bestimmter sekundärer Pflanzenstoffe bei einer bestehenden Krebserkrankung das Auftreten von Metastasen verhindern kann4.

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Literatur

  1. Hanahan, D. & Weinberg, R. A. The hallmarks of cancer. Cell 100, 57-70 (2000).
  2. Kinzler, K. W. & Vogelstein, B. Lessons from hereditary colorectal cancer. Cell 87, 159-70 (1996).
  3. Hanahan, D. & Weinberg, R. A. Hallmarks of cancer: the next generation. Cell 144, 646-74 (2011).
  4. Béliveau, R. & Gingras, D. Krebszellen mögen keine Himbeeren (ed. GmbH, R. H.) (Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2010).
  5. Li, W. W., Li, V. W., Hutnik, M. & Chiou, A. S. Tumor angiogenesis as a target for dietary cancer prevention. J Oncol 2012, 879623 (2012).
  6. Folkman, J. & Kalluri, R. Cancer without disease. Nature 427, 787 (2004).
  7. Abdollahi, A. & Folkman, J. Evading tumor evasion: current concepts and perspectives of anti-angiogenic cancer therapy. Drug Resist Updat 13, 16-28 (2010).
  8. Black, W. C. & Welch, H. G. Advances in diagnostic imaging and overestimations of disease prevalence and the benefits of therapy. N Engl J Med 328, 1237-43 (1993).
  9. Research., W. C. R. F. A. I. f. C. Food, Nutrition, Physical Activity, and the Prevention of Cancer: a Global Perspective. (ed. AICR) (Washington DC, 2007).